Artikel von
Hanna Lubcke
Die Partei
„Bündnis 90/Die Grünen“ steht nach wie vor gut da. Trotz immer wieder
aufkommender Skandale liegt sie in aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl im
September konsequent bei über 20 Prozent, die Kanzlerkandidatin Baerbock erhält
Zuspruch von verschiedensten Vertreter:innen aus Politik,
Medien und Wirtschaft. Seit dem Aufstieg von Fridays for Future hat die Grüne
Partei es geschafft, das Thema Klimaschutz als ihr Hauptanliegen und sich als
Alternative zur herrschenden Politik darzustellen, die vor allem junge Menschen
abholt. Aber was ist dran an der Darstellung der Grünen als fortschrittliche
Alternative? Und können wir mit den Grünen als Regierungspartei wirklich auf Verbesserungen hoffen? Hier
lohnt sich ein Blick auf das aktuelle Wahlprogramm, die Geschichte der Partei
und die Positionen der Kanzlerkandidatin Baerbock.
Die Grünen
und der Umweltschutz
Das in der
öffentlichen Wahrnehmung prominenteste Thema der Grünen ist natürlich der Umweltschutz – bei einer
Partei, die diesen schon im Namen trägt, liegt der Verdacht auf eine
ökologische Ausrichtung nahe.
Doch schauen
wir uns die Umweltpolitik der Grünen dort an, wo sie regiert, dann kommt
vielleicht als jüngstes Beispiel die Abholzung des Dannenröder Forsts in Hessen
in den Sinn. Diese wurde zwar nicht unter Beteiligung der Grünen in der
Landesregierung beschlossen, wird nun aber unter der schwarz-grünen Koalition
rigoros durchgesetzt. Während der Widerstand in dem Wald anhält, werden
Protestierende mit aller Härte von der Polizei geräumt, durch das Kappen von
Seilen auf besetzten Bäumen werden Menschen in Lebensgefahr gebracht. Dieses
brutale Vorgehen wird von den Grünen mitgetragen und bringt sie in die
missliche Lage, für die sogenannte „Realpolitik“ ihre so häufig propagierten
Ideale hinter sich zu lassen. Bei Besuchen der Protestcamps, wo sich Vertreter:innen der Grünen als Verteidiger:innen des Waldes
und Mitstreiter:innen der
Umweltbewegung zu inszenieren versuchten, mussten sie sich harter Kritik von Umweltaktivist:innen aussetzen,
die ihre Doppelmoral aufdeckten.
Nicht nur von den Grünen mitgetragen, sondern sogar
mitbeschlossen wurde die Rodung des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen.
Die damalige Regierung, bestehend aus Grüne
und SPD, beschloss 2017 einen Leitentschluss, der die Rodung des Hambacher
Forst zu Gunsten des Braunkohleabbaus in der Region preisgab. Später
demonstrierte die Partei mit gegen diese Rodung. Auch hier offenbart sich eine
klare Bereitschaft, schönen Worten hässliche Taten folgen zu lassen, sobald
es zum Regieren kommt.
Auch in
Hamburg haben die Grünen ihre Positionen zum Umweltschutz flexibel an die
Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst. Die Elbvertiefung, die ein Passieren von noch größeren
Containerschiffen durch den Hamburger Hafen ermöglichen soll, hat fatale
Folgen für Tier- und Pflanzenwelt im
und um das Gewässer. Die Grünen stellten sich gegen das Projekt, bis sie
gemeinsam mit der SPD 2015 den Senat stellten und ihren Widerstand aufgaben. 2008
genehmigte die grüne Umweltsenatorin in Hamburg den Bau des Kohlekraftwerks
Moorburg. Im Wahlkampf war das
Verhindern des Kraftwerkbaus vorher zentrale Forderung der Grünen gewesen.
Ähnlich
sieht es in anderen Großstädten aus: am Frankfurter Flughafen stellte sich die
Grüne gegen ein drittes Terminal, trug dieses dann aber mit. Mehr Lärm, aber
vor allem mehr Umweltverschmutzung und Schadstoffe sind die Folge.
Diese
wenigen Beispiele aus der Politik der Grünen dort, wo sie regieren, zeigen eine
allgemeine Tendenz auf, den Klimaschutz hinter die Profitinteressen der
Wirtschaft zu stellen. Auf Bundesebene propagiert die Partei jetzt eine „sozial-ökologische
Neubegründung“. Diese findet, anders als viele andere Klimaschutzkonzepte,
teilweise Anklang in Wirtschaft und Lobby (laut einer Umfrage von Civey im
April würden „Führungskräfte aus der Wirtschaft“ Baerbock als neue Kanzlerin
favorisieren). Was beinhaltet diese „Neubegründung“, die auf einmal
Wirtschaftsinteressen und Klimaschutz zu vereinen scheint?
Um diese
Frage zu beantworten, müssen wir uns anschauen, wem die vorgeschlagenen
Klimaschutzmaßnahmen nützen. Ein Hebel der Grünen für weniger Emissionen ist
zum Beispiel die CO2-Steuer: ein
festgesetzter Preis pro Tonne ausgestoßenen CO2s, den Rest soll der
Markt regeln. Dieser Anreiz soll langfristig zum Entwickeln neuer Technologien
und dem Abrücken von emissionslastigen Produktionsprozessen führen. Ob die
Kosten der CO2-Steuer am Ende nicht einfach damit gedeckt werden, dass Produkte
teurer werden, der Preis somit auf den Konsumenten abgewälzt wird und zu einer
Umverteilung von unten nach oben führt, bleibt fraglich, liegt aber nahe, wenn
sich hohe Vertreter aus der Wirtschaft wie zum Beispiel der „Bundesverband
deutscher Industrie“ für diese Steuer aussprechen. Denn diese würden keine Maßnahme befürworten, die
ihre eigenen Profite wirklich in Gefahr bringt. Alles riecht nach einer
Augenwischerei, für die am Ende die arbeitenden Menschen zahlen müssen.
Doch
die CO2- Steuer legt eine Logik offen, die sich durch das gesamte Programm der
Grünen für eine nachhaltige Zukunft zieht: der Staat muss Anreize schaffen und
auch subventionieren, um den „grünen Wandel“ voranzutreiben. Zum Beispiel im
Bereich der E-Mobilität, die als angebliches Allheilmittel im Vordergrund
steht, tendieren die Grünen klar zu hohen Subventionen, um den Übergang zu angeblich
nachhaltigen Technologien für die deutsche Industrie zu ermöglichen. Besonders
die deutsche stand lange zwischen dem Verbrenner und dem Trend hin zur
Elektromobilität. Auch andere Branchen wollen gegenüber Standorten wie zu,
Beispiel China wettbewerbsfähig bleiben und ihre Profite weiterhin steigern. Dafür
kommen Subventionen genau zur richtigen Zeit, um aus der Krise zu kommen. Somit
decken sich an dieser Stelle vermehrt Lobbyinteressen aus der deutschen Industrie,
die weiteren technologischen Fortschritt nötig hat, mit angeblicher
Nachhaltigkeit. Denn auch wenn die Emissionen durch E-Mobilität verringert
werden können, ergeben sich hier neue Probleme, zum Beispiel die Gewinnung von
Lithium für Batterien, das vor allem in Südamerika abgebaut wird und dort
Umwelt und Lebensgrundlage in Gefahr bringt. Auch die Erschließung dieses
Lithiums für westliche Konzerne ist nur unter verschärftem, imperialistischem
Druck möglich.
Die „grünen
Subventionsprogramme“ stellen eine klassische Hilfe des Staates dar, der
Profite schützt und Unternehmen rettet, doch ob die daraus folgenden
Umstellungen wirklich nachhaltig sind bleibt fraglich. Und wer profitiert am
Ende davon? Die Gelder, von denen die Hilfen bezahlt werden würden, wären
staatliche, also Steuergelder. Wie viel davon letztendlich auch den
Beschäftigten und Steuerzahlern zugute kommt bleibt fraglich – die Gewinne
würden privatisiert. Auch der allseits befürchtete Strukturwandel, durch den
Arbeitsplätze verloren gehen könnten, wird nicht gelöst – hierfür wäre ein
ernsthafter Kampf für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und
Personalausgleich notwendig (siehe S. …).
Das, was
die Grünen als Neubegründung oder wahlweise auch als „Revolution“ bezeichnen,
hat wenig mit einem tatsächlichen Antasten der derzeitigen Wirtschaftsweise zu tun,
welches langfristig Umweltausbeutung notwendig macht. Vielmehr wird an Stellen,
wo „klimafreundliche“ Technologien dem Kapitalismus zugutekommen, staatlich
subventioniert, während wirklich
sinnvolle Schritte ausgeklammert werden, solange sie nicht im Sinne
einer Lobby sind. Klimaschutz kann aber langfristig nicht funktionieren, wenn
er sich an den immer weiteren Wachstumszwang des Kapitalismus anpassen muss
(siehe S. …). Das Klimakonzept der Grünen stellt eine Umstellung zu einem
„grünen Kapitalismus“ dar, der die Probleme niemals an der Wurzel angehen und
sogar weitere Angriffe für die arbeitenden Menschen mit sich bringen würde.
Der grüne
Ausweg aus der Armut
Auch wenn
der Ökologiefaktor der „sozial-ökologische Neubegründung“ eher spärlich
ausfällt, gibt es ja immer noch den sozialen Teil. Hierbei wäre jedoch, würde
man es ernst meinen, anstatt von einer Neubegründung eher von einer
Wiedergutmachung zu sprechen. Denn es war die Koalition aus SPD und Grüne, die
mit der Agenda 2010 Europas größten Niedriglohnsektor schuf. Das Hartz IV
System hält bis heute Menschen systematisch in Erwerbsarmut und zwingt sie in
prekäre Beschäftigungen. Das im Juni beschlossene Wahlprogramm der Grünen konkretisiert
die Neubegründung in einer Anhebung des Hart IV Satzes von 50€, was bei den
lächerlich geringen Leistungen bei weitem nicht genug ist. Ein Änderungsantrag
der Grünen Jugend, diese um 200€
mehr zu erhöhen, wurde abgelehnt, genau wie der nach Arbeitsplatzgarantie
für „unfreiwillig Arbeitslose“. Auch die Forderungen nach einem Mindestlohn von
13€ anstelle von 12€, sowie der 30-Stunden-Woche kamen nicht durch. Selbst die derzeit
viel diskutierte Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen fand keine Mehrheit,
obwohl es mittlerweile in der Bevölkerung eine breite Bewegung gibt, die hinter
dieser Forderung steht (siehe zum Beispiel „Deutsche Wohnen & Co enteignen“
in Berlin). „Radikale“ Forderungen (das bedeutet diejenigen, die den Menschen
tatsächlich wieder eine gute Existenz ermöglichen würden) müssen weichen, um
für eine eventuelle Koalition mit der CDU weiterhin in Frage zu kommen.
Doch selbst
die sozialen Forderungen, die im Grünen Wahlprogrammentwurf zu finden sind,
werden zum Ende hin abgemildert: „Wir können nicht versprechen, dass nach
Corona jedes unserer Projekte noch finanzierbar ist.“
Ob dafür wirklich Corona der Grund ist
und nicht die zunehmende Annäherung an die
Wirtschaft bleibt fraglich. Eine der Forderungen, die den Grünen nach wie vor
Kritik unter Wirtschaftsvertreter:innen
einbringt, ist die nach einer höheren Steuer für Vermögende. Doch auch hier
scheint sich etwas zu tun: so kritisiert Arndt Kirchoff aus dem Präsidium des
Verbands der Automobilindustrie, das Grünen-Führungspersonal solle „doch bitte
das in das Wahlprogramm schreiben, was es uns jetzt in Diskussionen
vermittelt“. Die Gespräche mit der Wirtschaft scheinen also Fahrt aufzunehmen und
die Versprechungen im Hinterzimmer gemacht zu sein – zu Ungunsten der Arbeitenden.
Grün oder Camouflage?
Ein
weiteres Thema, welches immer dringender an Aktualität gewinnt, ist die
Kriegsgefahr. Die Stimmungsmache gegen Länder wie China und Russland, die eine
immer größere wirtschaftliche Konkurrenz darstellen, wird im Westen hörbar
lauter. Übungsmanöver der NATO wie Defender Europe & Defender Pacific finden
maßgeblich vor den russischen und chinesischen Grenzen
statt. Die Forderungen nach Aufrüstung und dem Zeigen von Stärke führen nur zu
weiterem Eskalationspotenzial, welches die Grünen nicht schwächen, sondern
bestärken. Dies hat Tradition: in ihrer ersten und bisher einzigen
Regierungskoalition trugen die Grünen den ersten Krieg Deutschlands seit 1945
mit. Mit dem NATO-Einsatz im sogenannten Jugoslawienkrieg brachen SPD und Grüne
mit der seit Ende des Zweiten Weltkriegs herrschenden Erzählung der „Verteidigungsarmee“.
Auf einem grünen Sonderparteitag 1999 argumentierte der grüne Außenminister
Joschka Fischer für diesen Einsatz, indem er die Lage im Kosovo mit der in den
deutschen Konzentrationslagern verglich:
„Auschwitz ist
unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie
wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört
bei mir zusammen.“ Dieser bodenlose Vergleich, der die
menschenrechtsverletzende Lage im Kosovo als Rechtfertigung für die völkerrechtswidrige
NATO-Intervention unter deutscher Beteiligung darzustellen versuchte, brachte
zwar Empörung mit sich, trotzdem stimmten die Grünen für den Krieg. Dieser wird
heute als Türöffnerkrieg bezeichnet, denn er brach das Tabu des Angriffskrieges
in Deutschland unter dem Deckmantel der „humanitären Intervention“. Auch den
NATO-Krieg in Afghanistan, der fast 20 Jahre ging, unterstützte die rot-grüne
Regierung. Und heute?
Baerbock plädiert ganz
unverhohlen für Aufrüstung: „Es fehlen Nachtsichtgeräte zum Üben, von
Flugstunden ganz zu schweigen. Wir müssen uns da ehrlich machen. Ja, in manchen
Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre schießen und
Nachtsichtgeräte funktionieren.“. Gegen wen genau man diese gut schießenden
Gewehre einsetzen sollte wird vorerst nicht geäußert – muss es auch nicht. Denn
die Grünen zeichnen sich durch Nähe zur USA und der Linie von Joe Biden aus,
die China und Russland als Feinde ausmachen und wollen ihnen mit „Dialog und
Härte“ begegnen. Auf Russland müsse mehr Druck gemacht werden, der geplanten
Gas-Pipeline North Stream 2, die russischen Gasimport nach Deutschland
erleichtern würde, die politische Unterstützung entzogen werden. Die USA
kritisiert dieses Projekt ebenso, weil es den Export ihres (durch extrem
umweltschädliches Fracking gewonnenen) Gases erschweren würde. Als
ausdrückliche Unterstützerin der NATO vertritt Baerbock die Interessen des
westlichen Imperialismus gegenüber dem von Russland und China. Aufrüstung (seit dem Parteitag im
Juni wird auch die Anschaffung bewaffneter Drohnen nicht mehr ausgeschlossen),
NATO-Einsätze im Ausland und die Verstärkung der westlichen Hetze gehören zum
grünen Wahlkampfprogramm.
Wir sehen also: die
Grünen sind mittlerweile Teil des politischen Systems und passen sich flexibel
den Forderungen von Lobby und Wirtschaft an. Dies war besonders deutlich in den
Koalitionsverhandlungen für die Jamaika-Koalition 2017, in der die Grünen
voreilig das Ziel für den Kohleaussteg bis 2030 über Bord warfen, um Regierungsfähigkeit
zu beweisen. Die Koalition platzte, doch die Verhandlungen hinterließen vor
allem in der grünen Wählerschaft einen bitteren Beigeschmack.
Grünenhass
– was steckt dahinter?
Doch wenn
die Grünen mittlerweile so reibungslos in den politischen Alltag voller
Korruption, Lobbyinteressen, Kriegstreiberei
und Sozialabbau integriert sind, warum gibt es dann so viel Propaganda gegen
sie? Denn das Umfragehoch wird auch von Hetze gegen die Grünen begleitet. Sie
seien eine Verbotspartei, die den einfachen Menschen und der Wirtschaft schaden
und eine Ökodiktatur aufbauen will. Besonders aus konservativer Ecke gibt es
immer wieder Anfeindungen, um die Grünen als nicht regierungsfähig darzustellen.
Dies steht natürlich in einem scheinbaren Widerspruch zu den guten Verbindungen
der Partei in Lobby und Wirtschaft – doch eben nur in einem scheinbaren. Um zu
verstehen, welche Rolle die Grüne wirklich in dem bundesdeutschen Geflecht aus
Parteien, Staat und Wirtschaft einnimmt, müssen wir uns anschauen, wessen
Interessen sie vertritt.
Denn es ist nicht allein so, dass die
grüne Partei ihre Versprechen bricht, sobald sie in Regierungsverantwortung
kommt und als eigentlich ökologisch-soziale Friedenspartei gezwungen wird, sich
den Interessen der Wirtschaft zu beugen. Vielmehr vertritt die Partei
mittlerweile selbst handfeste Teile der Wirtschaft, die aus einer grünen
Regierung Vorteile ziehen würden und von vornherein auf sie setzen. Natürlich
stehen die, nach außen klimagerecht scheinenden, Forderungen der Grünen auf den
ersten Blick in Widerspruch zu den in Deutschland sehr etablierten
Lobbyverbänden der Energie- und Autokonzerne zu stehen. Wie bereits erläutert
geraten diese aber selbst mittlerweile in den Zugzwang, denn der technologische
Stand der konkurrierenden
Länder ist in vielen Bereichen fortgeschrittener. In der Autoindustrie gibt es
mittlerweile mehr Unterstützung für die Grünen, da sie unter dem Deckmantel des
Klimaschutzes die Hinwendung zur E-Mobilität subventionieren möchten. Junge Unternehmen,
die viel im digitalen Bereich arbeiten und in den letzten Jahren eine gewisse
Größe in der deutschen Wirtschaftslandschaft erlangt haben, stehen den Grünen
allgemein wohlgesonnen gegenüber: 37% der Start-Up-Unternehmer:innen würden laut des Deutschen Start
Up Monitors die Grünen wählen. Die Unterstützung aus den jungen und digitalen
Branchen allein reicht in einem Industrieland wie Deutschland nicht aus, um in
einer Regierung auch die nötigen Interessen vereinen zu können. Doch auch in
der Energie- und Stahlindustrie kommt die Annäherung ins Rollen. Baerbock
selbst konkretisiert im Handelsblatt, ganz unter dem Feigenblatt des
Klimaschutzes: „Die Unternehmen müssen beim Umbau hin zur Klimaneutralität
deutlich schneller werden. Dafür brauchen sie von der Politik die Sicherheit,
dass sich ihre Milliardeninvestitionen, vor denen sie jetzt stehen, in Zukunft
rechnen. Es gibt viele Unternehmen vor allem in der Grundstoffindustrie, die in
klimafreundliche Prozesse und Produkte investieren wollen, etwa klimaneutralen
Stahl. Derzeit hätten sie aber damit gegen Dumping-Stahl aus China keine Chance
haben. Das will ich ändern.“. Und sie schlussfolgert: „Deshalb muss der Staat
jetzt für Planungssicherheit sorgen und in Vorleistung gehen. Wenn sich die
Produkte in Zukunft rechnen, geben die Unternehmen den Vorschuss an die
Allgemeinheit zurück.“. Die Grünen werben mit einem „Industriepakt“, der vor
allem Chemie- und Energiekonzerne auf ihre Seite ziehen soll.
Die Partei vereint insofern geschickt Lobbyinteressen mit einem
fortschrittlichen, Aufbruchsstimmung vermittelnden Auftreten. Sie kann sich als
Alternative zur herrschenden Politik aufzeigen, besonders im Vergleich zu den
in den letzten Jahren aufkommenden konservativen Regierungen im Westen. In den
USA lässt sich eine ähnliche Entwicklung verfolgen: während in den letzten
Jahren Politiker:innen wie
Trump einen Aufschwung hatten,
die einen nationalistischen Kurs der Abschottungspolitik fuhren und klassische Teile der Schwerindustrie auf ihrer
Seite wussten, die sich klar gegen Klimabewegung und technologischen Wandel
positionierten, wurde mit dem Wahlsieg Bidens ein anderer Kurs für Wirtschaft
und Politik gesetzt. Die Industrie ist auf technische Erneuerungen, auf Handel
und Zugriff auf neue Rohstoffe
im Ausland, wie z.B. Lithium, angewiesen. Der Kurs der imperialistischen
Kriegsführung, die diesen Zugriff zu gewähren versucht, sowie das Investieren
in technische Erneuerungen ist wirtschaftlich notwendig und zwingt auch
konservative Teile der Wirtschaft, den progressiv-neoliberalen Kurs der
Biden-Regierung zu unterstützen.
Doch während sich diese beiden
Wirtschaftsfraktionen in den USA einen handfesten Schlagabtausch lieferten und
bis kurz vor der Wahl nicht eindeutig klar war, wer die Unterstützung von
Industrie und Handel auf seiner Seite hatte wird in Deutschland eine andere
Entwicklung deutlich. Die Grünen, Vertreter eines ähnlichen Modells wie Biden, und
die CDU, klassische Vertretung der konservativen Industrie, kommen für eine
gemeinsame Regierung in Frage. Diese Koalition könnte die Widersprüche im Lager
der Kapitalisten zumindest kurzzeitig lösen und die deutsche Wirtschaft unter
Einbeziehung verschiedener Interessen den Weg aus der Krise ebnen. Der
Machkampf zwischen Grünen und CDU bezieht sich derzeit auf die Frage, wer in
dieser Koalition die Führung angeben würde und wessen Lobbyklientel somit in
der Regierung die besseren Chancen hätte – nicht aber um die grundsätzliche
Frage nach der Ausrichtung der neuen Bundesregierung. Diese ist mit Blick auf
die Fakten bereits gesetzt.
Wir sehen also: der Aufstieg der Grünen
kommt nicht von ungefähr, sondern hat einen Hintergrund in wirtschaftlichen
Interessen. Trotzdem schafft es die grüne Partei, trotz zahlreicher
Gegenbeweise aus der Vergangenheit, sich als fortschrittliche Alternative zu
den etablierten Parteien darzustellen. Diese Außenwirkung lässt, ähnlich wie in
den USA, die Gefahr aufkommen, dass sich fortschrittliche Teile der Bevölkerung
täuschen lassen und die tatsächliche Politik der Grünen weniger kritisch
hinterfragen. Denn die Grünen vertreten am Ende des Tages immer noch
Kapitalinteressen, wenn auch teilweise andere als die CDU. Und wir wissen, dass
diese Interessen sich mit denen der arbeitenden Menschen, die die Profite der
Unternehmen erst erwirtschaften, niemals decken können. Doch die grüne Partei
schafft es, fortschrittliche Kräfte für ihren Wahlkampf einzuspannen und sich
von der Klimabewegung zum Wahlerfolg karren zu lassen, um von der
Regierungsbank aus Politik für die Wirtschaft in anderem Gewand machen zu
können.
Und weiter?
Was
feststeht ist, dass ein grüner Wahlerfolg ist noch lange kein Sieg für die
Klimabewegung. Und die Gefahr, sich von schön klingenden Phrasen täuschen zu
lassen muss uns bewusst sein. Egal, wer regiert: für tatsächlichen Klimaschutz,
gegen Sozialabbau und Aufrüstung müssen wir selber einstehen. Der Kampf für die
Zukunft der Jugend wird durch Parteien wie die Grüne nicht in die Politik getragen,
vielmehr wird sie hier wie von einem Blitzableiter zur Deckung von
Kapitalinteressen genutzt und führt nur zu mehr Ausbeutung, Krieg und Krisen.
Unsere Zukunft müssen wir uns auch nach der Bundestagswahl selbst erkämpfen –
auf den Straßen, in den Schulen, Unis und Betrieben.